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Sun-Mi Jung - Unternehmerin, Journalistin, Redakteurin, Food-Bloggerin. Foto © Anke Sundermeier

In einem guten Buch ist jeder Buchstabe aus Gold

10. November 2017

Sun-Mi, Du bist im Ruhrgebiet geboren und lebst dort bis heute. Was magst Du ganz besonders am Ruhrgebiet?

Oh, es gibt ganz viele Dinge, die ich am Ruhrgebiet mag und schätze. Da sind zum einen die Menschen und ihre offene, bodenständige, manchmal auch einfache Art. Die meisten Menschen hier sind sehr unkompliziert. Dann die Tatsache, dass die vielen kleinen und großen Orte im Ruhrgebiet sich zu einer Fünf-Millionen-Metropole vereinen und trotz regionaler Unterschiede letztlich ein Zusammengehörigkeitsgefühl besteht. Die Sprache. Dann tatsächlich das Ruhrpott-Essen. Es ist nicht besonders raffiniert oder fein, aber das hat trotzdem seinen Reiz. Die beste Currywurstbude des Ruhrgebiets kann ich fußläufig erreichen… Und dann genieße ich sehr das Multikulturelle:

»Mein Freundes- und Bekanntenkreis setzt sich aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt zusammen. Und das Tolle daran ist, im Alltag bemerke ich das gar nicht. Und weil wir hier im Ruhrgebiet so viele Einwanderer haben, haben die unterschiedlichsten Küchen und Lebensmittelläden der Welt hier einen Platz gefunden. Womit wir wieder beim Essen wären…«

Deine Eltern stammen aus Südkorea. Wie würdest Du Deine kulturelle Identität beschreiben?

Je älter ich werde, desto bewusster werden mir meine koreanischen Anteile. Das liegt aber nicht daran, dass ich mental oder seelisch zu meinen Wurzeln zurückkehre. Die waren ja immer da. Ich nehme mich und mein Leben nur insgesamt bewusster wahr. Ich fühle mich als Deutsche in jeder Hinsicht. Meine Muttersprache ist Deutsch. Nur eben mit südkoreanischen Wurzeln, was man nicht nur in meinem Aussehen erkennt. Sondern auch an einzelnen Glaubenssätzen und Werten und daraus resultierenden, unbewussten Verhaltensweisen und Denkmustern.

Leistung wird zum Beispiel in der koreanischen Kultur viel höher bewertet als in der westlichen Welt. Noch vor Individualität oder Kreativität. An der Leistungsfähigkeit des Einzelnen wird der Wert des Menschen und der Status seiner Familie festgemacht. Von diesem Gedanken versuche ich mich übrigens gerade zu lösen.

Dann gibt es noch eine dritte Komponente und zwar den Anteil als Zuwandererkind. Als Gastarbeiterkind macht man Erfahrungen, die sowohl Deutsche, als auch Koreaner nie machen. Das beginnt allein schon damit, dass man das einzige deutsche Kind in der Schule mit ausländischen Eltern ist… Unbewusst vermittelt man schon als Kind jeden Tag zwischen den beiden Kulturen Ost und West.

Was bedeutet Heimat für Dich?

Schwierige Frage. Ich fühle ich dort wohl – und damit auch zu Hause – wo ich frei sein kann. Das muss kein besonderer Ort sein. Hauptsache, ich finde dort Inspiration, neue Gedanken, Weiterentwicklung, offene Menschen und kann meiner Persönlichkeit Ausdruck verleihen.

Auf Deinen Blogs schreibst Du unter anderem über kulturelle Unterschiede zwischen Ost und West. Magst Du ein Beispiel aus Deiner persönlichen Erfahrung geben?

Die schönsten Erfahrungen mache ich, zusammen mit meinem deutschen Freund, in unseren Familien. Obwohl seine Familie polnischer Abstammung ist, empfinden sich seine Geschwister als Deutsche. Und da kommt es zu den interessantesten Begegnungen. Es ist ein bisschen wie in dem Film My Big Fat Greek Wedding. Allerdings ist nicht meine Familie die griechisch-temperamentvolle. Sondern seine! Meine Eltern sind sehr vornehm, zurückhaltend, diskret. Und streng. Seine Geschwister sehr laut, herzlich und impulsiv. Eben echtes Ruhrgebiet. Zum Glück komme ich damit gut zurecht. Nur mein Freund musste ich an eine neue, etwas indirektere Art der Kommunikation und des Umgangs gewöhnen… Das fängt damit an, dass er meine Mutter akustisch nicht versteht, weil sie so leise spricht. Und hört damit auf, dass den Anweisungen meiner Familie klag- und kritiklos Folge zu leisten ist. Aber er lernt schnell!

Genießen und gesunde Ernährung haben einen hohen Stellenwert in Deinem Leben. Woher kommt diese Leidenschaft für das Essen?

Tja, das weiß ich auch nicht. Eigentlich denke ich ja, dass jeder Mensch gern isst. Und daher auch gern kocht. Aber das scheint nicht so zu sein, wie ich immer wieder mit Entsetzen feststelle… Aber ich kann Dir sagen, was ich so faszinierend an Essen finde:

»Also, neben dem guten Geschmack, den ein Essen so mit sich bringt, bedeutet Essen und Kochen auch immer einen kleinen Ausflug in eine neue Kultur und Welt. Hinter jedem Rezept, hinter jeder Zutat verbringt sich eine spannende, tolle Geschichte, die ich mir auf den Teller holen kann. Sei es der Ausdruck einer Lebensart oder der Herstellungs- und Produktionsprozess eines Lebensmittels. Außerdem stehen frische Lebensmittel für mich immer für das pralle Leben. Und beim Kochen kann ich meiner Kreativität freien Lauf lassen, mit Zutaten, Geschmäckern, Aussehen, Texturen spielen, ausprobieren, testen.«

Sun-Mi Jung, Foto © Andreas Muck

Unter dem Namen »MissSeoulFood« schreibst Du nicht nur über asiatische Rezepte, sondern auch über das Lebensgefühl und die Kultur, die sich dahinter verbergen. Was macht die koreanische Küche so besonders?

Zum einen ist die koreanische Küche natürlich die Küche meiner Kindheit. Meine Eltern essen bis heute täglich koreanisch. Ich kenne sie also von Kindesbeinen an. Vielleicht ist die koreanische Küche ja auch die Heimat, von der wir gerade gesprochen haben. Zum anderen ist sie trotz aller Vertrautheit gleichzeitig exotisch. Wahrscheinlich, weil sie sich so sehr von allen anderen Küchen unterscheidet. Der Unterschied zur japanischen, bzw. chinesischen Küche ist trotz der geographischen Nähe enorm. Sie hat sozusagen ein USP, ein eigenes Profil. Und das finde ich spannend, obwohl ich damit aufgewachsen bin.

Was hat Dich zur Gründung von MissSeoulFood inspiriert und wer ist Deine Zielgruppe?

Das war reiner Zufall. Ich bin von Beruf Journalistin und habe zu Werbezwecken einen Blog mit dem Namen »Korean Girl« gestartet. Hier habe ich zu meinen deutsch-koreanischen Erfahrungen geschrieben. Die meistgelesenen Artikel waren die zum Thema Essen. Und darauf meine kleine Firma MissSeoulFood entstanden, die nicht nur koreanische Rezepte und Foodgeschichten, sondern mittlerweile auch Kochkurse für Privatleute und Unternehmen anbietet. Jeder, der gern kocht, isst und dabei die koreanische Küche und Kultur kennenlernen will, ist bei mir richtig.

Was sind Deiner Einschätzung nach die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale einer Unternehmerin oder eines Unternehmers? Welche Eigenschaften bewunderst Du am meisten? Hast Du bestimmte Vorbilder?

Ich bin ständig auf der Suche nach Vorbildern, nach erfolgreichen Menschen, an denen ich mich orientieren kann. Götz Werner finde ich zum Beispiel toll, weil er nicht nur rein unternehmerisch denkt, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung übernimmt und nach rechts und links schaut. Jochen Schweitzer finde ich sehr inspirierend, weil er eine souveräne Persönlichkeit ist, die ebenfalls über den Tellerrand schaut. Mein Tipp an alle, die Ihr eigenes Ding machen wollen:

»Trau Dich, Dir Deine eigenen Ziele zu setzen, die Deiner Persönlichkeit und Deinen Werten entsprechen. Gehe mit Freude und Liebe an die Arbeit. Setz Dich nicht zu sehr unter Druck, das hemmt Dich nur. Arbeite ausschließlich mit Menschen zusammen, die Dir positive Energie geben. Das gilt auch für Kunden. Und lass Dich nicht verrückt machen. Weder von anderen, noch von Deinen eigenen Gedanken. Fühl Dich einfach wohl mit dem, was Du tust.«

Wie sieht Dein Tagesablauf aus? Hast Du eine tägliche Routine oder ist jeder Tag völlig anders?

Ich versuche den Tag möglichst langsam zu beginnen. Eine echte Herausforderung für mich. Der Tag beginnt – im Idealfall – mit ein paar Übungen in Achtsamkeit. Mit einem heißen Getränk setze ich mich dann an den Rechner, um mein erstes Arbeitspensum zu bewältigen – ich arbeite ja immer noch hauptberuflich als freie Journalistin. Nach einer Frühstückspause kommt der zweite Arbeitsblock. Der kann bestehen aus Terminen, allgemeinen Office-Aufgaben, strategischen Überlegungen, was gerade so ansteht. Zum Schluss kümmere ich mich um Inspiration. Bücher sind immer eine riesige Inspirationsquelle für mich. Daher verbringe ich viel Zeit in Buchhandlungen.

Sun-Mi ich danke Dir für das Gespräch und wünsche Dir alles Gute für die Zukunft!

Das Interview führte Jan-Christoph Daniel.

Mehr über Sun-Mi Jung und MissSeoulFood auf…

www.missseoulfood.de

www.facebook.com/missseoulfood

www.instagram.com/missseoulfood

Bildnachweise
Sun-Mi Jung mit Buch, Foto © Anke Sundermeier, ankesundermeier.de
Sun-Mi Jung beim Zubereiten von leckerem koreanischen Essen, Foto © Andreas Muck, muckphoto.de

Beim Titel dieses Blog-Beitrags handelt es sich um ein Sprichwort aus Korea
»In einem guten Buch ist jeder Buchstabe aus Gold.«

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